Günther Kaindlstorfer über Doron Rabinovici
Laudatio zum Publizistikpreis der Stadt Wien,
Wien, 1. Dezember 2000
Lieber Doron Rabinovici!
Sehr geehrter Herr Stadtrat!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenige Tage, nachdem die neue Bundesregierung im vergangenen Februar ihr nicht immer segensreiches Wirken zu entfalten begonnen hat, fand in der Berliner Volksbühne eine Veranstaltung statt, die den politischen Widerstand in Österreich stärken sollte. Prominente Teilnehmer aus der alpenrepublikanischen Kulturszene sollten im Castorfschen Theater auftreten und in Diskussionen, Lesungen und anderen Veranstaltungen ihre Solidarität mit den Anti-Regierungs-Demonstranten in Wien bekunden. Henryk M. Broder schrieb im „Spiegel“ über diese Veranstaltung, und mit einer gewissen, gar nicht unangebrachten Süffisanz ließ er sich über folgendes Faktum aus: Die Veranstalter hatten beim österreichischen Außenministerium in Wien um eine Subvention, um einen Fahrtkostenzuschuß für die anreisenden Künstler angesucht, damit diese im Ausland in Ruhe gegen die österreichischen Regierung agitieren konnten.
Das entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik, darüber kann man sich lustig machen, darüber muß man sich sogar lustig machen.
Nun, lieber Doron Rabinovici, das hier ist eine Veranstaltung der Stadt Wien und nicht des Bundes. Der Preis, den Sie heute bekommen, dieser Preis wird Ihnen von Peter Marboe überreicht werden und nicht von Franz Morak oder Susanne Riess-Passer, das ist ein Unterschied, wie wir wissen, und zwar kein kleiner.
Dieses Faktum kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie heute von der öffentlichen Hand für Ihr aufrührerisches Engagement belobigt, geehrt und letzten Endes bezuschußt werden.
Ein Gemeinwesen ehrt seine Revoluzzer? Das ist natürlich zum Lachen. Daß die Stadt Wien heute einen Störenfried, einen notorischen Widerspruchsgeist dafür auszeichnet, daß er in seinen Essays und Polemiken unbequeme Fragen aufwirft, daß er mit Aufrufen und Artikeln die Massen mobilisiert und Hunderttausende auf die Straße lockt, um gegen das nicht immer segensreiche Wirken dieser Regierung zu protestieren, darüber kann man spotten, klar – aber eines ist dabei doch zu bedenken: Die Revoluzzer und Störenfriede sind das Salz in der Suppe der Demokratie. Ein Gemeinwesen, das seine Aufrührer ehrt, ehrt im Grunde sich selber. Hinter der offiziellen Würdigung von oppositionellem Geist steht die Auffassung, daß Widerspruch notwendig und wünschenswert ist, daß eine Sozietät nur so lange lebendig bleibt, als sie Gegenmeinungen nicht nur gelten läßt, sondern fördert und ermutigt, ohne sie dabei zu vereinnahmen und zu verharmlosen.
Ein Gemeinweisen – ich meine das keineswegs zynisch – soll seine Kritiker pflegen.Es zeugt vom zivilisatorischen Reifegrad einer Gesellschaft, ob sie ihre Kritiker und deren Argumente ernstnimmt und anerkennt, oder ob sie Kampagnen gegen Künstler und Intellektuelle entfacht, ob sie mit Maulkörben und Hetzplakaten herumfuchtelt und das sogenannte Volksempfinden gegen Künstler und andere Minderheiten mobilisiert. Ich sage es ganz offen: Bei aller Problematik, die das auch hat, ist mir das Anerkennen und Auszeichnen lieber.
Doron Rabinovici ist ein echter Österreicher. 1961 in Tel Aviv geboren, lebt er seit seiner frühesten Kindheit in Wien. In dieser Stadt hat er seine Sozialisation erfahren, hier ist er in die Schule gegangen, hier hat er zum ersten Mal Brecht und Serner gelesen, Hilberg und Hannah Arendt. Von den Schrecknissen der Shoa ist Doron Rabinovici verschont geblieben, verschont aber nur insofern, als er sie als Spätgeborener nicht selbst erlebt hat. Aber das Dritte Reich und das Ungeheure des Holocaust haben tiefe Spuren hinterlassen, familiengeschichtliche Spuren. Wer Rabinovicis Bücher, etwa den Roman „Suche nach M.“, aber auch seine Aufsätze und Essays gelesen hat, weiß, wie ihn die Jahre zwischen 1933 und 1945 geprägt haben. Sein Vater, David Rabinovici, stammt aus Rumänien, seine Mutter, Schoschanna Rabinovici, hat das Ghetto von Wilna überlebt - 95 Prozent der Bewohner dort wurden ermordet - sie hat auch die Schrecknisse der Konzentrationslager überlebt. Und Doron, ihr Sohn? Heute schreibt er Aufsätze und Bücher, in denen er dem Fortwirken des Vergangenen auf die Spur zu kommen trachtet. „Das Vergangene ist nicht tot“, sagt Faulkner, „es ist nicht einmal vergangen.....“
Im Zentrum der Rabinovicischen Texte steht die Frage der Identität, aber auch die Frage nach historischer Wahrheit. Er setzt sich mit diesen Fragen in wissenschaftlicher Weise auseinander, wie in seinem Buch „Instanzen der Ohnmacht“, aber auch in witzigen Polemiken und kämpferischen Essays, die im „Standard“, im „Falter“, oder auch in der „Frankfurter Allgemeinen“ erscheinen. Überhaupt, der Witz, er scheint Doron Rabinovici auch dann nicht zu vergehen, wenn es eigentlich gar nichts mehr zu lachen gibt: Nachdem die EU-Staaten zu Jahresbeginn ihre Sanktionen gegen Österreich verhängt haben, nachdem der israelische Botschafter abgezogen war und die nationale Hysterie hierzulande hochwallte, publizierte Rabinovici seinen Essay „Wohin mit Österreich?“ In diesem Text erklärt er sich selbst zum „Zerrissenen“, zum „kulturellen Zwitterwesen“.
Er schreibt – ich zitiere: „Seit Monaten droht der in Tel-Aviv geborene Doron R. dem in Wien lebenden D. Rabinovici damit, die Beziehungen zu ihm zu überdenken. Seitdem geht es rund. „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen“, sagt der eine trotzig. Worauf der andere lächelnd entgegnet: „Kein Problem, und wir Israeli haben diplomatische Kontakte, mit wem wir wollen.“
Vielleicht ist es sein Sinn für Humor, vielleicht ist es aber auch das politisch-organisatorische Talent des heute zu Ehrenden und seine Vorliebe für gewisse Kaffeehäuser, etwa für das Prückl oder das Café Hummel, wo Doron Rabinovici Leute trifft, Zeitung liest und von wo aus er per Handy Großdemonstrationen zu organisieren pflegt, vielleicht ist es all das zusammen, was Henryk M. Broder, von dem bereits die Rede war, vor einigen Monaten veranlaßt hat, in einer Reportage für den „Spiegel“ zu schreiben, Doron Rabinovici sei in Wien etwa so bekannt wie der Prinz Orlovsky aus der „Fledermaus“.
Das ist nicht nur eine Gemeinheit, ist auch falsch. Wäre Doron Rabinovici in Wien so bekannt wie der Prinz Orlovsky, dann stünde dieses Land heute nicht da, wo es steht.
Demokratie braucht Widerspruch, braucht Streit und Debatte, Demokratie braucht auch WIDERSTAND, wenn die Steuerleute der Res publica das Staatsschiff in gefährliche Gewässer manövrieren. Daß Sie diesen Widerstand mitorganisieren, lieber Doron Rabinovici, mit dem Handy vom Kaffeehaus aus und mit dem Laptop von zu Hause, daß Sie in Ihren Essays der Wollust des Fragens frönen, daß sie mit dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort für die demokratische und kulturelle Entwicklung dieses Landes und dieser Stadt eintreten, dafür sollen Sie heute ausgezeichnet werden. Ich darf Ihnen zur Zuerkennung des Publizistik-Preises der Stadt Wien von ganzem Herzen gratulieren.