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Rabinovici: Die Außerirdischen (Roman, Suhrkamp), Einleitung O-Töne 2017

Von Klaus Kastberger

Vor einigen Monaten habe ich mit Doron Rabinovici telefoniert. Dabei hat er mir erzählt, dass im Sommer von ihm ein neues Buch erscheinen wird, das – und Sie kennen den Titel mittlerweile alle „Die Außerirdischen“ heißen wird. Mein erster Gedanke damals war: „Jetzt ist der liebe Doron aber doch etwas seltsam geworden.“

Warum sollte ein Autor wie er auch tatsächlich sein angestammtes Revier verlassen. Ein Gebiet, auf dem er als Historiker und stets scharfzüngiger Publizist auch literarisch reüssiert und sich in den letzten Jahrzehnten einen hervorragenden Namen gemacht hat? Als ein „Meister der politischen Allegorie“ wurde der Schriftsteller Rabinovici erst neulich im Feuilleton bezeichnet. Und für seine literarischen Bücher hat er im gesamten deutschsprachigen Raum viel Lob eingefahren.

Die Erwartungshaltung an jemanden wie Rabinovici ist klar: Man erhofft von ihm weitere Auseinandersetzungen mit politischen und historischen Themen, so wie in seinem letzten Roman „Andernorts“ aus dem Jahr 2012. Darin hat Rabinovici eine kluge Abhandlung über Fragen von Identität, Herkunft und Heimat vor dem Hintergrund einer israelisch-österreichischen Familiengeschichte in einen schwungvollen Erzählrahmen verpackt und damit nicht zuletzt eine brillante Diagnose darüber geliefert, wie in heutiger Gegenwart und in heutigen Medien mit Themen umgegangen wird, die von jüdischer Vergangenheit determiniert sind. „Andernorts“ ist ein Roman mit echten Menschen aus Fleisch und Blut und offenkundigen autobiographischen Bezügen. Also grad so, wie man sich ein Buch von Rabinovci vorstellt.

Jetzt aber kommen „Die Außerirdischen“. In Österreich imaginiert man dazu (getrieben auch vom 1. April 2000) vielleicht andere Bilder als anderswo. Prinzipiell freundlich gestimmt Männchen könnten das sein, die am Heldenplatz oder auch anderswo ihren Raumschiffen entsteigen und in wattierten Anzügen auf die Menschen zukommen mit unvermeidlichen Antennen auf ihren Helmen. An einer Stelle von Rabinovicis Buches tritt tatsächlich so ein klischeehafter Außerirdischer auf. Aber der Nebel die Gestalt lichtet sich bald, und es stellt sich heraus, dass es nur ein Mensch war, der hier für Extraterrestrischen gehalten wurde.

Echte „Außerirdische“ bleiben im Buch „Die Außerirdischen“ unsichtbar. Und schon bald stellt sich die Frage, ob wirklich Außerirdische auf der Erde gelandet sind oder das Ganze nur eine Intrige bzw. ein ganz ausgeklügelter Schachzug einiger mächtiger Menschen in einigen westlichen Ländern war. Rabinovicis Buch ist auch gar nicht in einer fernen Zukunft angesiedelt, sondern spielt – grosso modo in einem europäischen, wenn auch nicht unbedingt österreichischem Jetzt. Aus der Tatsache heraus, dass Außerirdische gelandet sein sollen, werden die Menschen hysterisch und sind aus ihrer Hysterie heraus umso leichter zu manipulieren. Kurzum: Alle machen, was eine fremde Regie ihnen sagt. Die ganze Menschheit, so scheint es, beteiligt sich an einem Spiel, das jemand anderer aus eigenen Interessen sich für sie ausgedacht hat.

Rabinovici schildert das Ganze aus der Perspektive seiner Hauptfigur Sol (geschrieben: S-O-L: wie lateinisch für die Sonne). Eines Tages heißt es in den Medien: Die Außerirdischen sind da. Orson Wells und sein fiktives Hörspiel lassen grüßen. Der Strom fällt aus, Plünderungen finden statt usw. usf. Bald aber stabilisiert sich die Lage und die Online-Plattform smack.com, die Sol betreibt, wird zu einem der ersten Profiteure der Sache, denn seltsamerweise wird gerade die Frage, was die Außerirdischen essen, zum Thema. Für einen Gastro-Kanal kann es nichts Besseres geben, die Zuschauerzahlen steigen und steigen.

Plötzlich aber wird es ungemütlich: Denn am allerliebsten, so heißt es, essen die Außerirdischen Fleisch. Allerdings keines, das nicht selbst entschieden hat, sich für diesen Zweck freiwillig darzubieten. Kein Hendl, keine Kuh, keine Ziege, kein Almochs, kein Wollschaf und selbst nicht das Mangalitza-Schwein, so artgerecht es auch gehalten sein mag, kann freilich eine solche Einwilligung geben. Bleibt als Fleischlieferant für die Außerirdischen also nur eine Spezies. So wie wir alle hier gemeinsam gemütlich sitzen, msVduH, haben Sie es sich wohl gerade in diesem Moment gedacht: Das einzige Tier, der so etwas selbst entscheiden kann, ist der Mensch.

In seinen Konsequenzen erinnert dieser Gedanke an klassische literarische Vorbilder wie Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Letztlich aber übertrifft der Ansatz bei Rabinovici all seine Vorbilder an Radikalität und entfaltet im Buch eine ungeahnte Dynamik. Spiele werden im Fernsehen veranstaltet, in denen den Gewinnern märchenhafte Reichtümer winken. Die Verlierer hingegen sollen an die Außerirdischen verfüttert werden. Rundum gerät die gesamte Welt-Ökonomie ins Wanken. Durch Spekulationen auf sogenannte „Exobilien“, also auf Grundstücke, die im Weltall liegen, häufen sich gigantische Reichtümer an und spielt sich eine enorme Umverteilung ab.

Schließlich landet auch Sol, der gegen die schöne neue Welt zusehends widerständig wird, auf der sogenannten „Trauminsel“. An diesem Ort wird es bei Rabinovici richtig prekär, denn in dem, was dort an Verbrechen stattfindet und in dem Vokabular, das der Autor zu deren Beschreibung nimmt, erinnert die Insel unmittelbar an ein nationalsozialistisches KZ.

Der moralische Druck, den das Buch „Die Außerirdischen“ an diesem Punkt aufbaut, ist nicht mehr zu steigern und entwickelt gleichsam aus sich selbst heraus einen predigthaften Unterton: So weit, liebe Leserin, lieber Leser, darf es nie wieder kommen! Die Außerirdischen hingegen sind an dieser Stelle des Buches fast schon wieder vergessen. Rabinovici hat aus ihnen nicht Science-Fiction und auch keine Schlacht um das Ende der Welt, sondern eine überaus kluge und überzeugende Parabel über die Wiederkehr alter Menschheitsverbrechen in neuartigen Formen gemacht.

Bevor ich Sie, meine Damen und Herren, nunmehr mit diesem Autor und seinem Buch allein lasse, will ich ihnen ganz kurz noch eine Geschichte erzählen, die damit vielleicht nur auf den ersten Blick nichts zu tun hat. Unlängst wurde nämlich auch der Direktor der Vatikanischen Sternwarte, der Jesuit Guy [Gi:] Consolmagno, danach gefragt, ob er an die Existenz von Außerirdischen glaubt. Für den treuen Gottesmann ist deren Vorhandensein unzweifelhaft und steht auch nicht im Widerspruch zur Bibel. Was er denn tun würde, wenn sie kommen, wollte darauf der Reporter des Deutschlandfunks von ihm wissen. Daraufhin kam eine im Vergleich zu Rabinovicis Buch doch recht unterkomplexe Antwort, denn Consolmango meinte nur: „Sie taufen.“

Gerade ein solches Wunder passiert hier und heute und in diesem Buch nicht. Ich wünsche Ihnen beim Nachfolgenden einiges an Nachdenklichkeit und viel Vergnügen.