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Der ewige Widerstand. Über einen strittigen Begriff.

Eine globale Debatte

- Leseprobe

Rabinovici, Doron: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat; (Frankfurt a. M. – 2000)

Die Wahl der Worte ist Teil des Kampfes. Widerstand ist in mehrfacher Hinsicht ein strittiger Begriff. Das Wort ist zu einem Ehrentitel geworden. Widerstand ist eine Losung, eine Anrufung und ein Anspruch zugleich. Der Begriff wird zur Rechtfertigung von Gewalt und als Tarnung der Macht verwendet.

Das Wort „Widerstand“ benennt eine Gegenkraft und setzt voraus, da sei eine gesetzte Ordnung, der im Sinne eines wesentlicheren Primats entgegengewirkt werden muß. Von Anfang an ist es Reaktion, beschreibt eine Grenze, deren Überschreitung zu einem Nein zwingt, deren Verletzung eine Abwehr hervorruft. Anders als der Ausdruck „Ungehorsam“ verlegt der „Widerstand“ gegen eine Regierung den Akt der Übertretung auf die Obrigkeit. Im Unterschied zur Revolution steht beim Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht die Utopie im Zentrum, sondern die Rückkehr zu einem Recht, das über den Gesetzen steht. Rebellische und konservative Motive liegen hier eng zusammen.

Am Abend des ersten Februars des Jahres 2000 strömten etwa 200 Menschen vor dem Parlament in Wien zusammen. Im Hohen Haus gaben Wolfgang Schüssel und Jörg Haider eine Pressekonferenz. Die beiden Politiker verkündeten ihre Einigung auf eine gemeinsame Koalition.

Jene, die vor einem Nebeneingang der österreichischen Volksvertretung standen, wollten ihrer Empörung Ausdruck verleihen und womöglich die Chance nutzen, mit Vertretern der Medien zu reden. Einige vertrieben sich die Zeit mit verschiedenen Parolen, die teils durchaus nicht ernst gemeint waren, sondern eher eine Artikulation von Widersinn und Geisteswitz sein sollten. Ein Staatspolizist schrieb die erste Losung auf, worauf die Umstehenden einen Slogan nach dem anderen erfanden, so jenen Beamten in Zivil zwangen, jeden Sager festzuhalten; ein Spiel wie Katz und Maus, bei dem es darum ging, die Sprüche schneller zu diktieren, als sie der Mann im Dienst protokollieren konnte. An jenem Abend, erinnere ich mich, zückte eine Demonstrantin ihren Schlüssel und begann damit umherzuschwenken. Dieses Zeichen war, wie nicht alle hier, die zumeist jünger als dreißig waren, wußten, ein Symbol der späten Achtziger gewesen. Auf dem Prager Wenzelsplatz hatten Abertausende mit den Schlüsseln in den Händen geklimpert, um den Herrschenden zu bedeuten, daß ihre Stunde geschlagen hatte. Die tschechische Demokratiebewegung hatte sich dieser Geste bedient, um gegen eine Diktatur zu handeln. Der Wink mit dem Schlüsselbund war unmißverständlich gewesen. Die Ansammlung im Wien des Jahres 2000 rebellierte nicht gegen ein System, das seit Jahren jegliche Unmutsäußerung niederschlug. Hier ging es auch nicht darum, der Macht zu zeigen, daß es Zeit war, zu gehen. Das Zitat funktionierte dennoch, vielleicht weil es sich gegen eine Politik hinter gepolsterten Türen richtete. Noch erstaunlicher aber als dieses Signal, das Schwenken mit dem Schlüssel, war eine Parole, die jemand zu rufen begann: „Widerstand!“ Ein zunächst vereinzelter Einwurf, der bald zum gemeinsamen Gesang anschwoll und später zum Wahlspruch werden sollte. Frederic Baker erinnert sich in der beeindruckenden Dokumentation Die Wiener Wandertage anders, und meint, die Losung der Protestbewegung, der Leitspruch „Widerstand“, sei am 2. Februar 2000 vor der Parteizentrale der Volkspartei geboren worden. Ich entsinne mich hingegen, am Abend davor den Slogan gehört zu haben. Ich überlegte kurz, den ersten Rufern entgegenzuwirken. Mir schien diese Parole zu militant, historisch allzu belastet und pathetisch, aber dann erkannte ich, daß meine Befürchtungen nichts mit dem zu tun hatten, was hier gemeint war. Ich hatte meine Studie „Instanzen der Ohnmacht“, die Arbeit über die Reaktion jüdischer Funktionäre auf die Vernichtung, über Resistenz und Kooperation angesichts von Verfolgung und Massenmord, abgeschlossen. Wie hohl klang, was hier ertönte, im Widerhall dieser Vergangenheit.

 

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